
Surfen mit KI-Turbo: Was es mit den neuen KI-Browsern auf sich hat
Browser goes KI – was erst mal nur nach ein paar netten, zeitsparenden Add-ons für uns Internet-Surfende klingt, ist weit mehr: Mit ihren KI-Browsern blasen KI-Anbieter wie Perplexity und jetzt auch OpenAI zum Sturm auf die Marktführerschaft von Googles Chrome. Warum es dabei um mehr geht als Marktanteile, erklärt KI-Beraterin Tanja Braemer in der neuen W&V-Kolumne. Hier wie gewohnt paywallfrei zum Nachlesen.
Erst vor ein paar Tagen hat ChatGPT-Anbieter OpenAI seinen neuen Browser „ChatGPT Atlas” an den Start gebracht. Zunächst nur für Apple-macOS-User:innen verfügbar, bindet Atlas ChatGPT direkt in den Surfprozess ein. Damit ist das Jonglieren zwischen Tabs Geschichte, ebenso das Springen zwischen Suchmaschine und ChatGPT. Die KI kann jetzt direkt auf Webseiten eingesetzt werden und dort Inhalte zusammenfassen, übersetzen und – im Agenten-Modus – zum Beispiel Online-Einkäufe erledigen. Auf jeder Website rechts oben gibt es einen „ChatGPT fragen“-Button, mit dem sich Fragen schnell beantworten oder Texte erzeugen lassen.
OpenAI-Chef Sam Altman will mit dem Launch von Atlas eine „once-in-a-decade opportunity“ ergreifen, nämlich Internetnutzung im KI-Zeitalter grundlegend neu zu denken und damit Google mit rund 70% Anteil am Browsermarkt (Stand: Juli 2025) das Wasser abzugraben. An der Börse zeigte die Produktneuheit auch gleich Wirkung: Die Aktie des Suchkonzerns Alphabet, der Mutter von Google, büßte laut Handelsblatt vorübergehend stolze 150 Milliarden Dollar an Wert ein.
Perplexity hat ebenfalls ins KI-Browser-Game eingegriffen: Mit Comet brachte das Unternehmen einen Merger aus Suchmaschine und persönlichem Assistenten auf den Markt, der selbstständig surft, E-Mails schreibt oder Flüge bucht und jetzt auch kostenfrei zur Verfügung steht. Über „Comet Plus“, der Bezahlvariante, gibt es Zugang zu Premium-Inhalten – die Einnahmen aus Abos werden mit den Inhalte-Anbietern geteilt. Damit will Perplexity nach eigenen Angaben Desinformation durch KI entgegenwirken und Qualitätsjournalismus stärken. Unter den Partnern finden sich renommierte Medienhäuser wie die Washington Post, CNN und Condé Nast.
Auch Claude-Anbieter Anthropic testet mit „Claude for Chrome” autonome Agenten, die auf Websites eigenständig handeln können, Google hat mit Gemini in Chrome eine KI-Browser-Erweiterung entwickelt, die Texte versteht und komplexe Aufgaben direkt erledigt. Google weiß längst: In Zeiten, in denen das „Sprechen” mit KI-Bots das Old-School-Googlen mehr und mehr ablöst, droht den klassischen Such- und Werbemodellen die Grundlage entzogen zu werden. Die neuen KI-Browser setzen genau hier an und nehmen so Googles Kern-Geschäftsmodell ins Visier. Kein Wunder also, dass man sich dort wappnet.
Warum KI-Konzerne plötzlich Browser bauen
Die Gründe für den Trend zum KI-Browser sind schnell erklärt: OpenAI zum Beispiel ringt um Profitabilität. Zwar nutzen nach Angaben des Unternehmens rund 800 Millionen Menschen und damit etwa 10% der Weltbevölkerung wöchentlich den KI-Bot ChatGPT. Das allerdings vorrangig in der Gratis-Version. Und OpenAIs Kosten für Modell-Updates und Infrastruktur sind enorm. Trotz Umsätzen von etwa 4,3 Milliarden US-Dollar im ersten Halbjahr 2025 ist OpenAI längst nicht kostendeckend, geschweige denn in der Gewinnzone unterwegs. Mit Atlas will Sam Altman also schlicht mehr Geld verdienen. So könnten zum Beispiel Atlas-Premium-Features wie Agents die Bezahl-Abos von OpenAI deutlich attraktiver machen und mehr zahlende Nutzer:innen anlocken.
Die neuen KI-Browser stellen noch dazu einen Versuch dar, die wichtigste Nutzerschnittstelle zum Internet zu kontrollieren und damit weitere, neue Einnahmeströme aufzubauen, die weit über ein klassisches Chat-Bot-Abo hinausgehen. Browser liefern eine Fülle interessanter User-Daten – Klicks, Kontexte, Aufenthaltsdauer, Kaufinteresse und vieles mehr. Diese Daten sind das Öl, das die KI-Systeme schmiert, denn sie stellen wertvolle Trainingsdaten dar. Und besseres KI-Training sorgt für bessere KI-Ergebnisse und damit für mehr KI-Akzeptanz.
Zwar betont OpenAI, dass die in Atlas erfassten Daten nur nach Opt-In für die Nutzung zum LLM-Training herangezogen werden und nicht automatisch. An der Datenquelle sitzt OpenAI fortan aber in jedem Fall. Und bei 800 Millionen wöchentlichen User:innen wird auch, wenn nur ein Bruchteil der Datennutzung zustimmt, einiges an Datenmaterial zusammenkommen, das sich (zumindest theoretisch) monetarisieren ließe.
Was bedeutet das für unseren KI-Arbeitsalltag?
Die wahre KI-Magic liegt schon lange nicht mehr im simplen KI-Chat-Bot. Wirklich Mehrwert stiften KIs dann, wenn sie untereinander oder mit anderen Systemen verbunden werden.
Nehmen wir zum Beispiel MS Copilot: Als KI-Layer liefert uns Copilot KI-Assistenz in jeder Office-App von Word bis PowerPoint, also dort, wo viele von uns sowieso täglich unterwegs sind. Für uns Nutzer:innen liegt der Charme vor allem darin, dass wir überall in MS 365 (zumindest, wenn man eine Copilot-Lizenz gekauft hat) mit der KI interagieren können. Sie wird zum 24/7-Assistenten, der uns immer und überall zur Verfügung steht. Irgendwann werden wir davon vermutlich nicht einmal mehr etwas merken. Gleiches gilt auch für Google Gemini, das sich ebenfalls in fast allen Google-Anwendungen ansteuern lässt.
Die KI-Browser setzen diesen Gedanken fort und entwickeln sich weg von passiven Webseiten-Anzeigern hin zu aktiv zuhörenden und verstehenden Assistenten. Informationsflüsse werden homogener und bedürfen weniger menschlichen Eingreifens. In naher Zukunft könnten Browser zu einer Art persönlichen Betriebssystem werden, das Suche, Chat, Einkauf, Planung und Arbeit mit KI-Boosting zusammenführt. Es tut sich einiges: OpenAI will Atlas auch mobil verfügbar machen. Perplexity bastelt an einem „Background Assistant“, der parallel mehrere Aufgaben im Hintergrund erledigt. Und auch Google rüstet sich: Einst war noch der Swipe am Handy zwischen Chrome und Gemini nötig, dann folgten die AI-Overviews, und jetzt ist der KI-Such-Modus da. Den eigenen Browser entwickelt Google auch ständig weiter, zum Beispiel mit agentischen Aufgabenketten. Das Internet wird sich also grundlegend wandeln zu einem auf unsere ganz individuellen Anforderungen zugeschnittenen, personalisierten Ort.
Achtung: KI macht denkfaul
Bei aller Euphorie für die neuen KI-Entwicklungen: Ein wenig Wasser muss ich uns doch in den Wein gießen. Eine Studie des MIT hat jetzt nachgewiesen, dass die Arbeit mit KI unsere kognitive Leistung verändert. Die Forschenden ließen drei Gruppen von Teilnehmenden Aufsätze schreiben: Die einen durften KI nutzen, die anderen Google, die dritte Gruppe nur den eigenen Kopf. Im zweiten Versuchsschritt durften die Brain-Only-Probaden KI nutzen und umgekehrt. Ergebnis: Mittel- und langfristig führt der Gebrauch von KI offenbar zu weniger neuronaler Konnektivität und mehr Erinnerungslücken – die Forscher bezeichnen das als „Aufbau kognitiver Schulden“. Kurzfristige Bequemlichkeit und schneller Produktivitätsgewinn durch KI-Nutzung kommen also in keinem Fall kostenlos. Dafür aber auf Kredit.
Bildquelle: Gemini/disruptive