
Das neue ChatGPT-5 ist da – das sollten professionelle User wissen
Mehr als ein Jahr nach der ersten Ankündigung hat der US-Techkonzern OpenAI am Donnerstagabend ChatGPT-5 gelauncht. Der neue Chatbot ist für jedermann verfügbar, auch für Nutzer der Gratisversion.
Schon vor dem Go-live war klar: Entgegen anfänglicher Verheißungen (oder eher Befürchtungen?) ist ChatGPT-5 nicht die erste „AGI“, also die erste KI, die uns Menschen tatsächlich überlegen ist. Sie hat einige spannende neue Features, vieles erscheint aber eher als graduelle Verbesserung.
Für professionelle Anwender stellt sich vor allem eine Frage: Was leistet das neue Modell im unternehmenskritischen Einsatz?
Die neuen Kernkompetenzen von ChatGPT-5
Mit ChatGPT-5 geht OpenAI immer weiter weg von ChatGPT als reinem Textgenerator. Die Weiterentwicklung zielt auf ein tieferes Verständnis von Kontext und Logik ab und erweitert die Interaktionsmöglichkeiten – beispielsweise gibt es neue Features in der Bildbearbeitung, einen „Study & Learn“-Modus und eine deutlich verbesserte Voice Engine. Aus professioneller Sicht sind zudem drei Funktionen interessant:
Verbesserte logische Schlussfolgerungen und Problemlösung: Eine der signifikantesten Verbesserungen ist laut OpenAI die Fähigkeit des Modells, komplexe, mehrstufige Probleme mit höherer Präzision zu lösen. Die „Halluzinationen“, also das Erfinden von Fakten, sollen deutlich reduziert worden sein. Dies macht das Modell zuverlässiger für Aufgaben, die eine hohe faktische Genauigkeit erfordern, wie beispielsweise Coding oder Finanzanalysen.
Autonome Agenten-Funktionen: Das neue Modell kann als autonomer KI-Agent agieren. Das bedeutet, es zerlegt komplexe Aufgaben selbstständig in Teilschritte, steuert externe Tools und APIs an und führt Arbeitsabläufe ohne ständige menschliche Aufsicht aus. Die ChatGPT Agent-Funktion war bereits im Juli auch in den „alten“ Modellen als Testlauf gestartet (mit beeindruckenden Bugs), ist aber in ChatGPT-5 nochmals weiterentwickelt worden. SharePoint- und Google-Connect erweitern die Möglichkeiten zudem enorm.
Größeres Kontextfenster und Gedächtnis: Laut diverser Tech-Blogs (1, 2) wurde das „Kontextfenster“ massiv erweitert. Darunter versteht man die Menge an Informationen, die das Modell analysieren kann, ohne den Faden zu verlieren. Auch die integrierte Memory-Funktion, die über einzelne Threads hinweg Informationen abspeichert, soll leistungsfähiger sein. Das würde noch stärkere Personalisierung und stärker kontextbezogene Interaktionen ermöglichen. Auch hier wieder: sinnvolle Erweiterungen, aber Evolution statt Revolution.

Pro und Contra im professionellen Einsatz
Die neuen Fähigkeiten eröffnen neue Möglichkeiten, bringen aber auch Herausforderungen mit sich:
Vorteile
Effizienz- und Produktivitätssteigerung: Die Automatisierung komplexer und zeitaufwendiger Aufgaben im Agent-Mode kann menschliche Ressourcen entlasten.
Neue Anwendungsfelder: Verbunden mit den verbesserten logischen Fähigkeiten kann die Agentisierung ganz neue Use Cases eröffnen – vom automatisierten Kundenservice bis zur semi-automatisierten Erstellung von Research-Unterlagen. Auch sprachbasierte Use Cases werden immer interessanter, einfach weil das Tool wie ein echter Mensch sprechen kann.
Qualitätsverbesserung: Für Software-Debugging oder Datenanalyse ist die Fähigkeit, große Datenmengen konsistent zu verarbeiten, ein großer Produktivitätshebel und übertrifft menschliche Kapazitäten inzwischen bei Weitem.
Nachteile
Datenschutz und Sicherheit: Die Integration von KI-Agenten in interne Systeme (z. B. E-Mail, Kalender, Datenbanken wie SharePoint) wirft kritische Sicherheitsfragen auf. Unternehmen müssen sicherstellen, dass sensible Informationen geschützt sind, die Datenverarbeitung den geltenden Datenschutzbestimmungen (z. B. DSGVO) entspricht und sie auch AI-Act-konform arbeiten. Der neue SharePoint- und OneDrive-Connect funktioniert beispielsweise sehr gut mit nur zwei Klicks – aber Vorsicht: Per Default fließen die eigenen Firmendaten somit ins Training von ChatGPT ein.
Das gleiche gilt, wenn man ChatGPT mit seinem Google Drive verbindet, was jetzt erstmals möglich ist. Hier daher die sehr explizite Warnung: Verbinden Sie ChatGPT nicht „mal eben so testweise“ mit Ihren Microsoft-Instanzen. Das ist einzig und allein Aufgabe der Firmen-IT.
Abhängigkeit und Kompetenzverlust: Sich zu stark auf KI-Systeme zu verlassen, birgt die Gefahr, dass eigene Denk- und Problemlösungskompetenzen verkümmern. „ChatGPT May Be Eroding Critical Thinking Skills“, zitierte beispielsweise das Time Magazine gerade eine neue MIT-Studie. „Im Verlauf der Monate wurden die Nutzer von ChatGPT mit jeder Abfrage nachlässiger und machten am Ende oft nur noch Copy-and-paste“, schreiben die Wissenschaftler.
Genau das ist aber gefährlich, denn die Fähigkeit zum kritischen Reflektieren wird zunehmend relevanter, um Ergebnisse von immer besseren KI-Systemen wirklich noch überprüfen und bewerten zu können.
Halluzinationen und Bias: Trotz aller Verbesserungen lernt auch ChatGPT-5 aus einem riesigen Datenkorpus, der zwangsläufig menschliche Vorurteile und Fehlschlüsse widerspiegelt. So smart das Tool in der Interaktion klingt (gerade im Voice Mode), ihm unkritisch zu vertrauen, bleibt fahrlässig. Auch ChatGPT-5 halluziniert weiterhin, wenn auch auf höherem Niveau.
AI = Augmented Intelligence – die richtige Haltung zum Umgang mit ChatGPT-5
ChatGPT-5 ist keine neue Super-Human-AI, markiert aber einen großen Schritt auf dem Weg von der KI als reinem Assistenz-Tool zu einem proaktiven Partner. Besonders die Kombination aus selbstständiger Problemlösung und der Verarbeitung der unterschiedlichsten Medien (Text, Sprache, Code) macht das Tool so vielseitig einsetzbar.
Zugleich braucht jede leistungsfähigere KI (zumindest aktuell noch) auch leistungsfähigere Menschen. Wer ChatGPT-5 daher als simplen Ersatz für Arbeitskräfte betrachtet, vertut Chancen. Stattdessen braucht es ein neues Verständnis der Tools: als Erweiterung unserer Fähigkeiten in der Verzahnung von Mensch und Maschine – kurz: AI wird zur „Augmented Intelligence“.
Bildquelle: Midjourney/disruptive