Wie Generative KI das Lernen transformiert – Chancen und Risiken für die Wissensgesellschaft
In der neuen Folge der Kolumne „KI für Könner“ geht unser Geschäftsführer Timm Rotter der Frage nach, wie sich GenAI auf unseren Umgang mit Wissen auswirkt – in Unternehmen und in der Gesellschaft. Tools wie ChatGPT bieten große Chancen, aber nur, wenn wir uns der Risiken bewusst sind. In a nutshell: „Verlernen wir durch GenAI endgültig das Lernen?“ Hier gibt es die Kolumne wie gewohnt ohne Paywall zum Nachlesen:
„Verlernen wir durch GenAI endgültig das Lernen?“
Der jahrhundertelang gelernte Erwerb von Wissen erlebt eine grundlegende Transformation: Nicht nur, dass Social Media Aufmerksamkeitsspannen auf wenige Sekunden reduziert, jetzt beschleunigen KI-Tools wie ChatGPT oder Perplexity die Verfügbarkeit von Wissen auch noch, indem sie instant Antworten auf jede Frage liefern.
Die Menge an verfügbarem Wissen ist also größer denn je, doch es zu verarbeiten, wird immer schwieriger. Daher fühlen wir uns oft weniger informiert als je zuvor. Beispiel Text: Alle sechs Minuten erscheint in der deutschsprachigen Wikipedia ein neuer Artikel, in der englischen sogar alle drei Minuten. Beispiel Fotografie: Mit KI-Tools haben wir in den vergangenen zwei Jahren mehr Bilder erzeugt, als Fotografen in den 150 Jahren zuvor.
Die Informationsflut lässt Lernfähigkeiten verkümmern
Dieses Überangebot kann zwei Reaktionen auslösen: Bei manchen Menschen ist es die Angst, etwas zu verpassen. Daher lieber nur die Headlines lesen und den Rest „scannen“ – es könnte ja nebendran im Newsfeed etwas passieren, was wir nicht mitbekommen. Bei anderen ist es eher ein Gefühl von medialer Überforderung, das in Resignation mündet.
So oder so konsumieren wir immer häufiger Wissensimpulse parallel, was zu ständigen Ablenkungen führt. Diese Fragmentierung erschwert es, substanzielles Wissen in einzelnen Bereichen aufzubauen, und lässt unsere Fähigkeit verkümmern, tiefgehend zu lernen, also uns mit inhaltlichen Verästelungen auseinandersetzen, sie zu bewerten und über diese „Aneignung“ eines Themas Expertise zu generieren.
Übersteigertes KI-Vertrauen und der Automation Bias
Generative KI verstärkt die Tendenz zur Oberflächlichkeit, indem sie oft nur kurze Wissenshäppchen liefert, die jedoch aufgrund ihrer menschlichen Anmutung in den Chatbot-Dialogen sehr vertrauenswürdig erscheinen. Obwohl sogar KI-Vordenker wie OpenAI-CEO Sam Altman warnen, dass ChatGPT eben keine Faktenmaschine sei, sondern eben „nur“ ein sehr guter Brainstorming- oder Ideen-Assistent, nehmen wir die Ergebnisse immer häufiger als bare Münze, ohne sie zu hinterfragen. Letzteres wird auch dadurch erschwert, dass viele Bots keine oder nur unvollständige Quellen angeben.
Mainstream-Knowhow und die Verengung des Wissens
Vielen Lernenden ist dabei nicht bewusst, dass ihre neuen „digitalen Wissensassistenten“ gar nicht neutral sind. Die großen Sprachmodelle, auf denen ChatGPT oder Gemini basieren, geben bevorzugt Mainstream-Antworten aus. Denn sie sind auf großen Datenmengen trainiert, die bestehende Mehrheitsmeinungen spiegeln. Weniger verbreitete oder randständige Ansichten ignorieren sie, wenn wir sie beim Prompten nicht explizit entsprechend danach befragen.
Verbunden mit /unserer sinkenden Kompetenz, Inhalte tiefgreifend zu analysieren, trägt dies dazu bei, dass unser Wissenspool sich auf allgemein bekannte Informationen verengt. Daher droht eine Art Wissensinzest: Wenn wir es verlernen, Wissen wirklich zu durchdringen, werden wir Menschen mehr und mehr Mainstream-Wissen reproduzieren.
GenAI, die ja aus jedem neuen Content lernt, findet entsprechend mehr Mainstream vor und reproduziert als Wahrscheinlichkeits-Maschine genau diesen – bzw. wiederum den mainstreamigsten Teil davon. Was den Wissenspool weiter verengt …
Die Lernplattform für die GenAI-Zukunft
Generative KI revolutioniert alle Arbeitsbereiche, innovativer und produktiver zu arbeiten – um davon zu profitieren, müssen Unternehmen ihre Mitarbeiter:innen jedoch schulen. Auch der AI Act der EU schreibt KI-Ausbildungen ab 2025 vor. Standardtrainings aber sind oft teuer und ineffizient. Unsere KI Akademie löst das Problem – jetzt kostenlos testen.
KI ermöglicht die Demokratisierung des Wissens – allerdings mit Einschränkungen
Zugleich bietet GenAI auch große Chancen für die Wissensgesellschaft, die hier auch Raum erhalten sollen: Häufig genannt wird die „Demokratisierung“ des Wissenserwerbs.
Richtig ist: Die neuen Wissensassistenten machen es so einfach wie nie zuvor für viele Menschen, Zugang zu Bildung zu erhalten. Das Wissensgefälle zwischen entwickelten und weniger entwickelten Regionen scheint plötzlich lösbar: Dank GenAI überwinden Lernende Zugangsbarrieren, weil jedem von uns große Anteile des Weltwissens zugänglich sind – in Sekundenschnelle und in der Sprache, die wir verstehen. Insofern kann GenAI zweifellos globale Zusammenarbeit und Wissensaustausch fördern.
Theoretisch erhalten wir also alle breiteren und tieferen Zugang zu Informationen. In der Praxis jedoch scheitert die Vision am erwähnten Verkümmern der Human Intelligence: Immer weniger Menschen sind in der Lage, dieses Wissen ganzheitlich zu verarbeiten.
Zudem ist die Demokratisierung fragil, denn an anderer Stelle wächst sogar die Gefahr, dass GenAI sogar soziale Ungleichheiten verschärft: Nicht alle haben Zugang zu den erforderlichen Technologien oder verfügen über ausreichend digitale Kompetenzen. Umso wichtiger ist – gerade in Ländern wie Deutschland, die Wissen als wichtigste Ressource betrachten – der Ausbau digitaler Infrastrukturen und die Förderung digitaler Bildung. Nur so werden wir eine möglichst inklusive Wissensgesellschaft schaffen.
Große Chancen stecken in der Personalisierung des Lernens
Inklusiv und zugleich individuell, denn ein weiterer Vorteil GenAI in der Bildung ist die Möglichkeit der Personalisierung. Adaptive Lernsysteme können individuelle Lernpfade erstellen, die auf den Fähigkeiten und dem Bedarf jeder Person basieren.
Laut einer Stanford-Studie von 2020, also der Zeit vor ChatGPT, verbessern personalisierte Lernumgebungen Ergebnisse um bis zu 30 Prozent. Sie erhöhen nicht nur die Effizienz beim Lernen, sondern auch die Lern-Motivation, so die Forscher.
Eine McKinsey-Studie bestätigt diesen Zusammenhang: Sie zeigt, dass KI-gestützte adaptive Lernumgebungen das Bildungsniveau um 20 Prozent steigern können – Menschen in prekären Bildungsverhältnissen profitieren demnach sogar noch stärker.
KI und Kreativität – das passt nicht zusammen? Weit gefehlt!
Profitieren von KI können wir alle, auch mit Blick auf das kreative Lernen. Auch wenn GenAI-Tools systemisch unkreativ sind (mehr dazu in der Kolumne unserer Kollegin Tanja Braemer), weil sie immer nur bereits vorhandenes Wissen neu zusammensetzen, können sie doch kreative Prozesse beflügeln.
Dafür allerdings müssen wir sie richtig verstehen und nutzen. Worauf es ankommt, hat Philipp Auer, Chef eines der führenden deutschen Architekturbüros (Auer Weber) auf einem Panel formuliert: „Wenn KI unsere Arbeit macht, werden wir verlieren. Gewinnen können wir nur, wenn KI uns Arbeit macht.“
Was Auer damit meint: Wir dürfen uns nicht darauf ausruhen, dass GenAI-Tools uns helfen, Standardarbeiten schneller zu erledigen und somit den Output zu steigern. Mehr vom Gleichen – nur weil wir heute doppelt so viele Mails oder LinkedIn-Posts schreiben können, wie zuvor – wird uns nicht helfen. Damit machen wir uns langfristig überflüssig. Wir müssen vielmehr lernen, KI die repetitiven Aufgaben zu übergeben und frei werdende Zeit für das zu nutzen, was KI nicht kann: wahrhaft kreativ und konzeptionell zu arbeiten.
Für viele Menschen ist das allerdings eine enorme Herausforderung da – die aktuell noch kaum besprochen wird: Bisher kamen sie mit ihren repetitiven To Do’s gut und zufrieden durchs Leben – entsprechend fehlen vielen die Fertigkeiten und das Mindset, die neuen Freiräume sinnvoll zu füllen. Dazu gehören Kontextkompetenz, die Fähigkeit empathisch zuzuhören und Dinge zu hinterfragen … alles das, was KI eben nicht kann.
So verändern sich die Rollen von Lehrkräften und Personaler:innen
Die vielen Chancen und auch Risiken von GenAI für unsere Wissensgesellschaft sind natürlich vor allem für zwei Zielgruppen eine enorme Herausforderung: für Lehrkräfte und Personaler:innen, die mehr und mehr zu Lernbegleiter:innen und Coaches werden und ihre bisherigen Routineaufgaben mehr und mehr der KI übertragen.
Gerade an den Schulen braucht es zwingend eine starke KI-Ausbildung. Denn aus Schüler:innen werden Arbeitnehmer – und deren Chancen am Arbeitsmarkt hängen vermehrt von KI-Kompetenz ab. Bildungssysteme müssen darauf reagieren und auf Berufe vorbereiten, die durch KI entstehen oder transformiert werden. Das wichtigste dabei ist, die Methodenkompetenz zu erweitern:
- Lernen zu lernen: Es gilt, Strategien zu entwickeln, um Informationen effektiv zu verarbeiten und tiefgreifend zu verstehen.
- Förderung von kritischem Denken
- Kompetenter Umgang mit KI. Das umfasst technologische, kreative, juristische und kulturelle Fertigkeiten – zu letzterem gehört beispielsweise, Biases von GenAI wahrzunehmen.
Worauf es ankommt, damit Unternehmen konkurrenzfähig bleiben
Generative KI bietet enorme Chancen, den Wissenserwerb zu bereichern und als digitaler Wissensassistent zu fungieren. Sie ermöglicht personalisiertes und kreatives Lernen, dies lebenslang und interaktiv. Unsere disruptive AI Academy macht sich dies bereits zunutze und ermöglicht es Unternehmen, jeden Mitarbeiter entsprechend seiner individuellen Bedürfnisse in GenAI auszubilden.
Zugleich müssen wir uns der Risiken gewahr sein: der Gefahr von Oberflächlichkeit, der Verstärkung sozialer Ungleichheit und ethischer Herausforderungen im Umgang mit KI.
Im Bildungssektor gilt ein KI-Bonmot, das mit Blick auf KI in Unternehmen entstand, daher ganz besonders: „Nicht KI wird uns abhängen, sondern es werden die Menschen, die KI nutzen, diejenigen überflügeln, die dies nicht tun.“
Wenn wir in unseren Unternehmen und generell in Wissensstandort Deutschland konkurrenzfähig bleiben wollen, können wir es uns nicht leisten, dass allzu viele Menschen hierzulande zur zweiten Gruppe gehören.
Bildquelle: Midjourney/Disruptive